Foto Jeff Mermelstein, Sidewalk, 1995Die Hamburger Ausstellung „Augen auf! – 100 Jahre Leica Fotografie“ beleuchtet Aspekte der Kleinbildfotografie; von der journalistischen Herangehensweise über kommerzielle und dokumentarische Ansätze bis hin zu freien künstlerischen Positionen – und sie ist unbedingt sehenswert:

Die Ausstellung erschlägt den Betrachter fast mit der Vielfalt ihrer über 500 Fotos. So viele Fotos sind auf einmal gar nicht zu verkraften, die Ausstellung ist gut für zwei oder drei Besuche. Ein besonderer Reiz liegt darin, dass sie nicht nur viele der bekannten Bild-Ikonen im Original zeigt, sondern auch viel Raum für die Entdeckung weniger bekannter Fotografen und Meister ihres Fachs bietet. Als Beispiele seien hier nur der spanische Fotograf Ramón Masats mit seinen Bildern aus dem Spanien der Franco-Zeit und die jüdische Berliner Fotografin Eva Kemlein genannt (lesenswert auch: Eva Kemlein, Theaterfotografin). Eine Präsentation diverser dokumentarischer Schmankerl aus dem Leica-Archiv, darunter eine Konstruktionsskizze Oskar Barnacks und das Leica-Lieferbuch von 1928, rundet die Ausstellung ab.

 

Foto Horst Gottfried

Während der Pressekonferenz wurde auch das Katalogbuch ausgepackt und präsentiert.
Vorne von links: Dr. Dirk Luckow (Intendant der Deichtorhallen), Dr. Andreas Kaufmann (Vorsitzender des Aufsichtsrats Leica Camera AG), Hans-Michael Koetzle (Kurator der Ausstellung), Ingo Taubhorn (Kurator Haus der Photographie).
Im Hintergrund ein uns unbekannter Kameramann.
Foto: Horst Gottfried

 
 
Foto Horst Gottfried

Bleistiftskizze von Oskar Barnack
Foto: Horst Gottfried

 
Die Presseinformation der Deichtorhallen:

Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie


24. Oktober 2014 – 11. Januar 2015

Deichtorhallen Hamburg / Haus der Photographie

Vom 24. Oktober 2014 bis 11. Januar 2015 beleuchtet die Ausstellung AUGEN AUF! – 100 JAHRE LEICA FOTOGRAFIE in 14 Kapiteln Aspekte der Kleinbildfotografie – von journalistischen Strategien über dokumentarische Ansätze bis hin zu freien künstlerischen Positionen. Im Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg werden u.a. Arbeiten von Alexander Rodtschenko, Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, Christer Strömholm, Robert Frank, Bruce Davidson, William Klein, William Eggleston, René Burri, Thomas Hoepker, Bruce Gilden präsentiert.
 

Foto Nick Út: The Associated Press, Napalm-Angriff in Vietnam, 1972

Nick Út: The Associated Press, Napalm-Angriff in Vietnam, 1972
© Nick Út / AP / Leica Camera AG

 
Rund 500 Fotografien von über 140 Künstlern, ergänzt um dokumentarisches Material – Zeitschriften, Magazine, Bücher, Werbemittel, Broschüren, Kameraprototypen, Filme – rekapitulieren die Geschichte der Kleinbildfotografie von den Anfängen bis in unsere Tage. Insgesamt folgt die von Hans-Michael Koetzle (München) kuratierte Ausstellung dem Gang der Technik- bzw. Fotografiegeschichte. Die Ausstellung wandert nach der Premiere in Hamburg weiter nach Frankfurt, Berlin, Wien und München.

Ein Eintrag im Werkstattbuch belegt: Spätestens im März 1914 hatte Oskar Barnack, seinerzeit Feinmechaniker bei Ernst Leitz, Wetzlar, das erste funktionstüchtige Modell einer Kleinkamera für 35 mm-Kinofilm fertiggestellt. Mit der kriegsbedingt erst 1925 eingeführten Leica (= Leitz / Camera) war nicht einfach ein neuer Fotoapparat erfunden. Die kleine, verlässliche, stets einsatzbereite, mit einem von Max Berek eigens gerechneten Hochleistungsobjektiv ausgestattete Leica markiert einen Paradigmenwechsel in der Fotografie. Nicht nur gestattete sie fotografierenden Amateuren, Quereinsteigern, emanzipierten Frauen einen leichteren Zugang zur Fotografie. Auch war mit der bequem in der Manteltasche zu tragenden Leica das Fotografieren zum selbstverständlichen Teil des Alltags geworden. Der vergleichsweise billige Kleinbildfilm stimulierte das fotografische Experiment. Neue Perspektiven wurden erprobt. Insgesamt gestaltete sich der visuelle Zugriff auf die Welt innovativer, mutiger, dynamischer. Keine Frage: Die von Oskar Barnack entwickelte, von Ernst Leitz II 1924 auf den Weg gebrachte Leica war so etwas wie die Antwort der Fotografie auf die phänomenologischen Bedürfnisse einer neuen, temporeichen Zeit.
 

Foto Fred Herzog: Man with Bandage, 1968

Fred Herzog, Man with Bandage, 1968
Courtesy of Equinox Gallery, Vancouver
© Fred Herzog, 2014
 
 
Foto Jeff Mermelstein, Sidewalk, 1995

Jeff Mermelstein, Sidewalk, 1995
© Jeff Mermelstein

 
Die Ausstellung AUGEN AUF! – 100 JAHRE LEICA FOTOGRAFIE unternimmt zum ersten Mal den Versuch, den durch die Erfindung bzw. Markteinführung der Leica provozierten Umbruch in der Fotografie umfassend darzustellen. Dabei wird die Geschichte der Kamera nicht isoliert bzw. um ihrer selbst willen betrachtet. Vielmehr richtet sich der Blick auf die durch die technische Innovation Leica ausgelöste visuelle Revolution. Aus kunst- und kulturgeschichtlicher Perspektive wird gefragt, wie sich durch die Leica bzw. das Kleinbild das fotografische Sehen verändert hat. Welche Auswirkungen die Miniaturisierung der Fotografie auf das Schaffen von Amateuren, Künstlern, Fotojournalisten hatte. Und nicht zuletzt: Welche neuen Themen die Systemkamera mit ihrer breiten Palette an Wechselobjektiven erschlossen hat bzw. wie eingeführte Themen auf neue Art gesehen wurden: eine andere Wahrnehmung der Welt durch den Leica-Sucher.

Gezeigt werden Arbeiten international bekannter Leica-Fotografen, aber auch weniger bekannte Aufnahmen von Amateuren oder Künstlern, deren Namen bis dato nicht wirklich mit dem Thema Kleinbild in Verbindung gebracht wurden – wie Ilja Ehrenburg, Alfons Walde, Ben Shahn oder George Grosz. Wichtige, zum Teil noch nie gezeigte Leihgaben kommen aus dem Werksarchiv der Leica Camera AG (Wetzlar), aus internationalen Sammlungen und Museen sowie von privaten Leihgebern (Sammlung F. C. Gundlach, Sammlung Skrein, Sammlung WestLicht).
 

Foto Christer Strömholm. Nana, Place Blanche, Paris 1961

Christer Strömholm. Nana, Place Blanche, Paris 1961
© Christer Strömholm / Strömholm Estate, 2014.

 
Ausstellung:
Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie
24. Oktober 2014 – 11. Januar 2015

Deichtorhallen Hamburg / Haus der Photographie
Deichtorstr. 1-2
20095 Hamburg

Buch:
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreiches, reich bebildertes Buch im Kehrer Verlag mit Texten von Alejandro Castellote, Michael Ebert, Peter Hamilton, Anton Holzer, Thomas Honickel, Hans-Michael Koetzle, Franziska Mecklenburg, Rebekka Reuter, Ulf Richter, Christoph Schaden, Emília Tavares, Enrica Viganò, Bernd Weise, Thomas Wiegand. Hg. Hans-Michael Koetzle.

Augen auf! 100 Jahre Leica
Kehrer-Verlag 2014
Festeinband, 27 x 32 cm, Gestaltung Detlev Pusch
564 Seiten, ca. 1200 Farbabbildungen
ISBN 978-3-86828-523-9 (deutsch) / ISBN 978-3-86828-530-7 (englisch)
98 Euro

Unsere Einschätzung: Angesichts der Fülle des präsentierten Foto- und Doku-Materials, das es so komprimiert noch nicht zu sehen gab, hat der Jubiläums-Band „Augen auf! 100 Jahre Leica“ das Zeug, selbst zu einem Klassiker unter den Fotobüchern zu werden.

Edition:
Christer Strömholm. Nana, Place Blanche, Paris 1961, 2014.
Silbergelatine, 18 x 21 cm auf 24 x 30 cm
Hahnemühle Glossy Fine Art − Photo Rag Baryta 315 gram. 100 % cotton! Auflage: 30 + 5 AP, nummeriert und gestempelt, signiert vom Nachlassverwalter
Preis: 350 Euro inkl. MwSt
 

Foto Hans Silvester, Stahlgerüstmontage, ca. Ende der 1950er Jahre

Hans Silvester, Stahlgerüstmontage, ca. Ende der 1950er Jahre
Silbergelatine, Vintage Print
© Hans Silvester / Leica AG

 
(Horst Gottfried)
 

Nachtrag (25.10.2014): Literaturangaben ergänzt.