Ende August hat Canon mit dem EF 35mm 1:1,4L II USM eine Neuauflage seines Reportage-Klassikers angekündigt, der seinen Vorgänger in praktisch allen Belangen übertrumpfen will. Allerdings ist das Objektiv mit einem Preis von rund 2050 Euro recht kostspielig. photoscala hatte in den letzten Tagen ausgiebig Gelegenheit, mit dem EF 35mm 1:1,4L II USM an einer Canon EOS 5D Mark III zu fotografieren. Dabei stand natürlich auch die Frage im Vordergrund: Rechtfertigt die optische Leistung des neuen 35ers dessen hohen Anschaffungspreis?

Mit dem seit Oktober erhältlichen EF 35mm 1:1,4L II USM verspricht Canon eine Reihe von Verbesserungen:

  • Ein neu entwickeltes „Blue Spectrum Refractive (BR)“-Element soll kurzwelliges Licht (Blau) stärker brechen und so chromatische Aberrationen deutlich minimieren.
  • Die aufwändige Vergütung inklusive „Subwavelength Structure Coating“ verspricht laut Canon „außergewöhnliche Resultate mit optimiertem Kontrast und minimierten Reflexionen und Geisterbildern“.
EOS 5D Mark III mit EF 35mm 1:1,4L II USM

Selbst an einer nicht kleinen EOS 5D Mark III trägt das EF 35mm 1:1,4L II USM ganz schön dick auf.
 

Dass der konstruktive Aufwand beim neuen 35er außergewöhnlich hoch ist, merkt man schon, wenn man es an die Kamera (in diesem Fall eine EOS 5D Mark III) ansetzt. Mit einem Gewicht von 760 Gramm ist es rund 200 Gramm schwerer als das Vorgängermodell, in der Länge überragt das neue Objektiv seinen Vorgänger um rund zwei Zentimeter. Doch die wohl wichtigste Neuerung ist von außen gar nicht sichtbar: Erstmals setzt Canon beim EF 35mm 1:1,4L II USM ein „Blue Spectrum Refractive (BR)“-Element ein. Dieses Linsenelement besteht aus einem organischen Material, das fest mit zwei Glaslinsen verkittet wird. Seine Aufgabe ist es, kurzwelliges Licht stärker zu brechen und so Farbsäume in den Aufnahmen zu vermeiden, die durch chromatische Aberration hervorgerufen werden.

Canon EF 35mm 1:1,4L II USM: Grafik

Ein spezielles BR-Element erhöht die Brechkraft für blaues Licht und verhindert so blaue
Farbsäume, die durch chromatische Aberration hervorgerufen werden.
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Diese Aufgabe meistert das BR-Element fast schon mit Bravour: Farbsäume sind dem EF 35mm 1:1,4L II USM völlig fremd, insbesondere laterale chromatische Aberrationen (sogenannte „Bokeh-CAs“) sind in den Aufnahmen nicht auszumachen. Ebenso wenig zeigt es farbige Säume in den Bildecken und -rändern, wie sie durch longitudinale chromatische Aberrationen (Farblängsfehler) hervorgerufen werden. Allerdings kommt es bei sehr feinen Strukturen zu einer leichten Blaufärbung im Motiv; ein Problem, das sich indes leicht beim Postprocessing beheben lässt. Insgesamt sorgen die fast schon perfekt auskorrigierten Farbfehler für eine sehr gute Detailwiedergabe über das gesamte Bildfeld hinweg. Und – was fast noch wichtiger ist – für ein sehr farbreines Bokeh, das wirklich ansprechend ist.

Canon EF 35mm  1:1,4L II USM: Ansprechendes Bokeh

Dank der hervorragend auskorrigierten chromatischen Aberrationen zeichnet das
EF 35mm 1:1,4L II USM ein sehr ansprechendes Bokeh ohne Farbfehler an Kontrastübergängen.

 

Und wie sieht es mit dem anderen Versprechen aus, Reflexionen und Geisterbilder zu vermeiden sowie optimierte Kontraste zu liefern? Die tiefstehende Novembersonne habe ich bei meinen Aufnahmen mit dem EF 35mm 1:1,4L II USM oft mit ins Bild genommen, ohne dass sich das Objektiv dadurch hätte aus der Ruhe bringen lassen. Traten einmal Lensflares auf, sind sie derart lokal begrenzt, dass man sie fast schon mit der Lupe suchen muss. Ebenso mustergültig zeigt sich das neue 35er bei der Kontrastwiedergabe – selbst von extremem Gegenlicht lässt es sich kaum beeindrucken. Ein bei anderen Objektiven, durchaus auch hochwertigen, oftmals zu beobachtender Kontrastverlust im Gegenlicht ist dem EF 35mm 1:1,4L II USM von Canon fast völlig fremd.

Canon EF 35mm 1:1,4L II USM: Gegenlichtaufnahme

Extremes Gegenlicht wie hier meistert das Canon EF 35mm 1:1,4L II USM mit Bravour.
Die Kontraste bleiben sehr hoch, Lensflares treten praktisch nicht auf.
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Nicht ganz so mustergültig zeigt sich Canons neuestes 35er bei der Detailwiedergabe über das Bildfeld hinweg. Bei sehr großen Blenden löst es die äußersten Bildecken nicht ganz so hoch auf wie das Bildzentrum. Ab ca. F/2,8 stört dieser Auflösungsverlust kaum noch, ab F/5.6 ist er praktisch nicht mehr wahrnehmbar, sodass er in der Praxis keine große Rolle spielen dürfte. Ebenso wenig macht das EF 35mm 1:1,4L II USM durch Verzeichnung auf sich aufmerksam, sie mag vielleicht messtechnisch erfassbar sein, keinesfalls jedoch visuell.

Longitudinale chromatische Aberrationen

Bereits abgeblendet auf F/2.8 löst das EF 35mm 1:1,4L II USM bis in die äußersten Ecken
(hier rechts oben) sehr hoch auf. Erkennbar ist aber auch, dass die longitudinale chromatische
Aberrationen (Farbquerfehler) nicht gänzlich auskorrigiert ist.

 

Die optischen Leistungen des EF 35mm 1:1,4L II USM lassen kaum Wünsche übrig und rechtfertigen den recht deftigen Preis von etwas über 2.000 Euro durchaus. Hinzu kommt: Das Objektiv ist robust konstruiert, tadellos verarbeitet und gegen Spritzwasser geschützt. Der Autofokus arbeitet an der EOS 5D Mark III sehr schnell, leise und selbst bei Offenblende exakt.

Tiefenschärfe bei Offenblende

Es muss nicht immer F/1.4 sein wie hier: Bei Offenblende ist die Tiefenschärfe
sehr gering, nur die wenigsten Motive verlangen danach.

 

Perfekt ist aber auch Canons neues 35er nicht. Der eine oder andere Fotograf wird sicherlich einen optischen Bildstabilisator vermissen, die hohe Lichtstärke des Objektivs ist nicht in jeder Situation ein Ausgleich dafür. Nicht ganz passend zum hohen Preis erscheint die mitgelieferte Streulichtblende, aus schnödem Kunststoff. Zudem ist das EF 35mm 1:1,4L II USM alles andere als ein unauffälliges Reportage-Objektiv. Doch insgesamt dürfte das EF 35mm 1:1,4L II USM eines der besten, wenn nicht gar das beste 35-Millimeter-Objektiv sein, das derzeit für Kleinbild zu haben ist.

Weiterführende Informationen

Die chinesischer Webseite dcfever hat das Canon EF 35mm 1:1,4L II USM intensiv mit seinem Vorgänger verglichen. Ein Besuch lohnt sich schon alleine wegen der vielen dort gezeigten Beispiel- und Vergleichsfotos.

(Martin Vieten)